Taucher, Makrofotographen und Biologen, sie schätzen sie besonders, die kleinen, schwer zu entdeckenden Lebewesen, die sich in den Meeren tummeln. Eine neue Studie, die kürzlich in der renommierten Fachzeitschrift Science veröffentlicht wurde, bringt die kleinsten Riffbewohner jedoch in ein komplett neues Licht. Winzige Fische werden zu Hauptakteuren in einem Drama, das ohne sie nicht funktionieren würde. Wie!? Indem sie gefressen werden…

Buntes Korallenriff im Roten Meer. Die erstaunliche Diversität der kryptobenthischen Fische bleibt uns Tauchern jedoch meist verborgen.
 

Seit Jahrhunderten rätselt die Forschung wie das Leben an üblicherweise extrem nährstoffarmen Korallenriffen so prächtig gedeihen kann. Korallenriffe beherbergen eine unglaubliche Vielfalt an Leben und sind Heimat von rund 6000 Fischarten, die nur durch ständigen Zufluss an frischen Nährstoffen überleben können.

Eine überraschende Entdeckung könnte jedoch die Antwort auf diese Frage sein. Erstaunlicherweise ist sie zahlreich überall in allen Formen und Farben zu erkennen, jedoch üblicherweise verborgen vor neugierigen Blicken der Taucher und Schnorchler, wie eine erst kürzlich publizierte internationale Studie in der Fachzeitschrift Science unter der Leitung von Simon J. Brandl (Simon Fraser University – ehemaliger MareMundi Mitarbeiter und Praktikant) ergeben hat.


Zitronengrundel (Gobiodon citrinus) aus dem Roten Meer. Die Art lebt in enger Assoziation mit Acropora Korallen und sondert einen giftigen Schleim ab.
 

Als „kryptobenthisch“ werden im Allgemeinen jene Fische zusammengefasst, die kaum größer als fünf Zentimeter werden und den Großteil ihres Lebens versteckt am Meeresboden verweilen. Fast die Hälfte aller bekannten Rifffische (ungefähr 2,799 Arten) fällt in diese Kategorie und macht so einen Großteil der Fischdiversität in unseren Meeren aus. Die meisten von ihnen sind hochspezialisiert, zeigen spannende Verhaltensmuster, ernähren sich von winziger Beute, Algen oder Korallenschleim und manche verbringen ihr gesamtes Leben versteckt in einer einzigen Koralle. Dennoch, ungeachtet ihrer Größe  – manche von ihnen zählen zu den kleinsten Wirbeltieren unseres Planeten – leisten die winzigen Riffbewohner Unglaubliches.


Kryptobenthische Fische machen rund 60% der gefressenen Biomasse aus und sind dadurch ein nicht wegzudenkender Faktor für die Funktionalität von Korallenriffen. Grafik aus Brandl et al. 2019
 

Kryptobenthische Fische sind ständig am Ringen um ihre Existenz. Starker Raubdruck und kurze Generationsdauern zwingen sie zu einem Leben nach dem Motto „Live fast and die young!“. Dieser Lebensstil dient in erster Linie dazu ihre Populationen zu erhalten, hat jedoch noch einen weiteren, bisher ungeahnt positiven Effekt auf die Funktionalität von Korallenriffen. Der ständige Reproduktiondruck führt zur laufenden Zufuhr von „frischen“ Larven ins Riff.

Die Studie ergab, dass ungefähr zwei Drittel aller Fischlarven in Riffnähe einen kryptobentischen Ursprung zugeordnet werden können. Zusammen mit den adulten Tieren wird so ungefähr 60% der gesamten gefressenen Biomasse von den kleinen Bewohnern bereitgestellt. Dadurch „betanken“ sie sozusagen das Korallenriff mit frischen Nährstoffen aus dem sonst unerreichbaren „Inneren“ des Riffs.

Bisher nahm man an, dass Nährstoffe z.B. rein durch Meeresströmungen von tiefen, nährstoffreichen Bereichen der Ozeane oder von driftenden Zooplanktonorganismen bereitgestellt werden. Mit der Erkenntnis, dass die winzigen Fische einen erheblichen Teil zur Erhaltung der Nährstoffflüsse in Korallenriffen beitragen, gelang den Wissenschaftlern ein bahnbrechender Durchbruch im Verständnis um die Funktionalität von Korallenriffen.

Die Studie gibt’s hier zum Nachlesen:

Demographic dynamics of the smallest marine vertebrates fuel coral reef ecosystem functioning

Quellen:

  • Brandl, Simon J., et al. „Demographic dynamics of the smallest marine vertebrates fuel coral-reef ecosystem functioning.“ Science (2019): eaav3384.
  • Goatley, Christopher HR, and Simon J. Brandl. „Cryptobenthic reef fishes.“ Current Biology 27.11 (2017): R452-R454.

Bericht: Maximilian Wagner, BSc
Redaktion: Dr. Walter Buchinger
Gestaltung: Stefan Haardt