Zeitungen warnen vor einem giftigen Kugelfisch im Mittelmeer. Was hat es damit auf sich? Robert Hofrichter erklärt, welche Kugelfisch-Arten ins Mittelmeer gelangt sind, wo sie herkommen, und was dieser neue Fisch für den Mittelmeerraum bedeutet.
Ja, die Medien liebe reißerische Schlagzeilen, welche sich positiv auf die schrumpfenden Auflagen auswirken könnten. Hier nur eine kleine Auswahl: „Giftige Kugelfische breiten sich im Mittelmeer aus“, „Giftige Invasion“, „Tödliche Kugelfisch-Art jetzt auch in der Adria verbreitet“, „Gefahr in der Adria: Neue Fischart in Kroatien entdeckt“ oder „Heiße Adria – und ein fieser Fisch könnte kommen“.
Obwohl die Schlagzeilen an den 50 Jahre alten (und völlig unrealistischen) Horror „Der Weiße Hai“ erinnern, ist der Kern der Information in diesem speziellen Fall immerhin richtig: Kugelfische (Familie Tetraodontidae) breiten sich seit vielen Jahren immer schneller im Mittelmeer aus und dringen dabei nach Westen und auch nach Norden in die Adria vor. Manche Körperteile dieser Fische (speziell innere Organe) sind tödlich giftig, denn sie enthalten TTX (Tetodotoxin), eines der stärksten Nicht-Protein-Gifte der Natur. Wer nichts davon weiß und zufällig einen solchen Fisch fängt und verzehrt, könnte durch das potente Nervengift qualvoll sterben. Die tödliche Dosis liegt bei etwa 10 Mikrogramm Toxin pro Kilogramm Körpergewicht.
Einige komplizierte Fachausdrücke: Lesseps’sche Migration und Tropikalisierung des Mittelmeeres
Wie kommen Kugelfische ins Mittelmeer? Sie sind durch den Suez-Kanal aus dem indischen Ozean eingewandert. Auf diesem Weg sind viele invasive Arten ins Mittelmeer gelangt, seitdem Menschen den Kanal gegraben und das Rote Meer mit dem Mittelmeer verbunden haben. Zu Ehren des Erbauers des Sueskanals nennt man dieses Phänomen Lesseps’sche Migration.
Seit Jahrzehnten kommen invasive Arten und verändern das Mittelmeer. Die ursprüngliche Fauna geht zurück oder verschwindet ganz, die Exoten breiten sich aus und besetzen die freigewordenen Nischen. Man spricht von der Tropikalisierung des Mittelmeers: Tropische Meeresfauna gelangt in die wärmeren Teile des Mediterrans. Die Kugelfische sind nur eine Art von vielen.
Hasenkopf-Kugelfisch – In den griechischen Medien sprach man schon 2010 vom „schlimmsten fremdartigen Fisch“ im Mittelmeer
Es begann mit dem Hasenkopf-Kugelfisch
Als der Autor dieser Zeilen um das Jahr 2010 die griechischen Gewässer untersuchte, um die Veränderungen des Meeres zu dokumentieren, wurde auf den ersten Blick klar: Diese Gewässer sind hoffnungslos überfischt, vielerorts kaputtgefischt. Einige Arten breiteten sich massiv aus, aber das waren durchwegs nur Exoten. Unter ihnen der hochgiftige und hochinvasive Hasenkopf-Kugelfisch (Lagocephalus sceleratus) aus dem Roten Meer. In den griechischen Medien sprach man gern vom „schlimmsten fremdartigen Fisch“ im Mittelmeer (siehe Abbildung).
Hasenkopf-Kugelfisch (Lagocephalus sceleratus) / Foto cc Wikipedia Rickard Zerpe
TTX – eines der stärksten Nervengifte in der Natur
Wie bereits angesprochen enthalten Vertreter der Familie Kugelfische (Tetraodontidae) eines der stärksten Nervengifte der Meere, das erstmals 1950 aus Ovarien von Kugelfischen isolierte Tetrodotoxin (TTX). Das Gift kommt in einer Vielzahl von Meeres- und sogar in Landtieren vor. Daher geht man davon aus, dass es nicht von den Kugelfischen selbst produziert wird, sondern aus der Umwelt aufgenommen wird. Da der Hasenkopf-Kugelfisch den Anglern und Fischern im Mittelmeer nicht bekannt war, kam es zwischenzeitlich in mehreren Ländern rund um das Becken zu mehreren (sogar tödlichen) Vergiftungen.
Wie alle Lesseps’schen Migranten, kam die Spezies zuerst im östlichen Mittelmeerraum vor, doch breitete sie sich zwischenzeitlich bis in die Südadria und bis nach Spanien aus. Fischer in Griechenland warnen auf Plakaten vor der Art, dass sie ein enorm starkes Gebiss hat (das ist auch namensgebend für die Verwandtschaft „Vierzahnartige“) und ihre Netze zerbeißt und beschädigt.
Tetrodotoxin (TTX) – eines der stärksten Nervengifte in der Natur
L. sceleratus ist nicht allein
L. sceleratus ist lange nicht mehr die einzige Kugelfischart im Mittelmeer. Es sind acht weitere Arten eingewandert, sowohl aus dem Roten Meer als auch durch die Straße von Gibraltar aus dem Atlantik: Ephippion guttifer, Sphoeroides marmoratus, S. pachygaster (bis ins östliche Mittelmeer), S. spengleri (Atlantik) sowie Lagocephalus guentheri, L. suezensis, Torquigener flavimaculosus und Tylerius spinosissimus (Rotes Meer).
In der Adria immer weiter nördlich
In der Adria fand man den ersten Kugelfisch im Jahr 2012 bei der Insel Jakljan. Bald schon folgten weitere Beobachtungen bei Tribunj und bei Dubrovnik. 2022 folgten Beobachtungen bei Pašman, und zwischenzeitlich gehen kroatische Fachleute davon aus, dass die Art in der Adria etabliert ist und sich weiter ausbreiten wird.
Drei Dinge beunruhigen Fischer und Fachleute: Das Gift dieser Fische, ihr kräftiges Gebiss (und der Schaden, den an Netzen und anderen Gegenständen verursachen) und schließlich die gesamtökologische Veränderung des Ökosystems Adria (bzw. Mittelmeer generell). Denn Kugelfische scheinen sich besonders gut für eine Invasion zu eignen: Sie haben im Mittelmeer keine Fressfeinde, und auch der Mensch kann sie nicht ohne Weiteres essen.
Kugelfisch-Koch: Ein besonderer Beruf
In Japan gibt es spezialisierte Kugelfisch-Köche. Sie lernen in einer jahrelangen Ausbildung, die giftigen Teile des Fischs zu entfernen und die ungiftigen Teile zuzubereiten. Als Abschlussprüfung muss der angehende Koch einen Kugelfisch zubereiten und ihn vor den Augen der Prüfer aufessen. Das hochbezahlte Gericht wird aber eher als geschmacklos beschrieben. Der „Kick“ soll dadurch zustande kommen, dass man Giftdosen zu sich nimmt, die gerade noch ohne ernsthafte Vergiftungserscheinungen vertragen werden. Sie sollen neben einem prickelnden Taubheitsgefühl im Mund auch rauschhafte Euphorie auslösen können.
Bericht: Robert Hofrichter
Redaktion: Christina Widmann, Helmut Wipplinger
Veröffentlicht am 11.07.2023