Eine Sepie (Sepia officinalis) bewegt sich gleitend durch’s Wasser, nur mithilfe der wellenartigen Bewegungen ihres Flossensaums / Foto: Nikolas Linke
MareMundi möchte niemandem vorschreiben, wie man sich im Detail ernähren soll. Doch aus ethischer und ökologischer Sicht ist es wichtiger denn je, sich auch solchen Grundsatzfragen zu stellen (vgl. Fleischkonsum). Darum war es uns ein Anliegen, den Beitrag unserer Praktikantin Jessica zu teilen.
Moin, ich bin Jess und im Frühjahr 2023 war ich bei MareMundi als Praktikantin tätig und daher fast täglich Schnorcheln. Jeden Tag sah ich hier die verschiedensten Meeresbewohner und ich war von jedem, egal wie klein, begeistert. Beziehungsweise hält meine Begeisterung noch immer an, daher dieser Beitrag!
Wir waren in Glavotok schnorcheln und schon längst durch für den Tag. Da bin ich doch noch mal schnell ins Wasser gestiegen um die Seehasen (Aplysia sp.) genauer zu beobachten. Seehasen gehören zu den Schnecken und obwohl sie wie Nacktschnecken aussehen, besitzen sie eine Schale, allerdings unsichtbar in ihrem Inneren. / Foto: Jessica Högermeyer
Meine allergrößte Begeisterung gilt derzeit den Tintenfischen, insbesondere der Sepie (Sepia officinalis) und dem Oktopus (Octopus vulgaris). Beiden Tieren kann man hier beim Schnorcheln regelmäßig begegnen. Und jedes Mal, wenn ich sie im Wasser beobachte, kommen sie mir wie Kreaturen aus einer anderen Welt vor, in die ich nun kurz einen Blick hineinwerfen darf.
Nahaufnahmen von Tentakel und Auge eines Kraken (Octopus sp.). Obwohl die Tiere eigentlich ihre Welt nur Schwarz-Weiß sehen dürften, da sie nur einen einzigen Lichtrezeptortyp besitzen (wir Menschen besitzen drei verschiedene), können sie dennoch Farben sehen. Eine neue Studie hat herausgefunden, dass sie den Winkel des einfallenden Lichtes und Un-/Schärfe nutzen um ein Farbbild zu kreieren. Durch das Zusammenspiel drei verschiedener Zelltypen in seiner Haut, ist es dem Oktopus möglich, sein Äußeres stark zu verändern und in Sekundenschnelle anzupassen. / Fotos: Nikolas Linke
Allerdings begegne ich diesen einzigartigen Tieren hier nicht nur im Wasser, sondern leider auch auf den Speisekarten und Tellern in fast jedem Restaurant, unter den Namen “Calamari” oder “Polpi”. Warum diese Tatsache problematisch ist, lässt sich anhand von 3 Aspekten erklären:
1. Meerestiere zu konsumieren ist nicht so gesund wie man denkt!
Unsere Weltmeere sind durch Mikroplastik, Schwermetalle, Hormonrückstände und andere Giftstoffe verschmutzt. Laut der OECD (Organisation for Economic Co-operation and Development) sind weltweit mittlerweile etwa 100.000 unterschiedliche chemische Substanzen im Wasserkreislauf nachzuweisen. Zu den häufigsten Giften zählen dabei Arsen, Blei und Quecksilber. Besonders Tiere, die Plankton aus dem Wasser herausfiltern, nehmen neben Plankton auch jene Substanzen auf. Werden diese Tiere, von räuberischen Tieren gefressen, reichert sich noch mehr von den giftigen Stoffen in der nächsten Ebene an. Besonders Topprädatoren, die sich in der obersten Ebene der Nahrungsnetze befinden, haben die höchste Belastung mit Giftstoffen wie Quecksilber oder Mikroplastik. Zu diesen am stärksten belasteten Tieren zählen zum Beispiel Thunfische und Haie. Wenn man also das Fleisch dieser Tiere isst, gelangen auch genau diese Stoffe in unseren Körper: Mikroplastik konnte beim Menschen bereits in der Plazenta und der Gebärmutter nachgewiesen werden. Welche genauen Auswirkungen das Mikroplastik und die anderen Stoffe auf unseren Körper haben, ist allerdings (noch) schwer abzuschätzen. Bei Mäusen wurde die schädliche Wirkung aber bereits nachgewiesen.
Die in Meeresfrüchte enthaltenen Schadstoffe sind am Teller nicht sichtbar – dennoch isst man sie mit. Der mediterrane Thunfisch ist mit am stärksten davon belastet. Sich durch den Verzehr eines Thunfischsteaks zu vergiften, ist aufgrund der unterschiedlichen Schadstoffe im Fleisch daher nicht unwahrscheinlich. / Fotos: https://flavouredwithlove.com/2015/09/08/thunfischsteak-tuna-steak/ und https://cooking.nytimes.com/ recipes/1017390-stuffed-squid-sicilian-style/
Sich von Meerestieren zu ernähren, ist also trotz vermeintlicher Vorteile, durch die aktuelle Umweltbelastung kaum noch wirklich gesund. Die positiven Inhaltsstoffe wie Omega-3 Fettsäuren, Proteine, Iod, oder Zink lassen sich dem Körper darüber hinaus auch durch andere Quellen zuführen: Lein- und Rapsöl, Soja, grünes Gemüse, Kürbiskerne, Sonnenblumenkerne, …
2. Nicht nur gefangene Meerestiere sterben, sondern zugleich ganze Lebensräume!
Hier möchte ich speziell auf die drei größten Probleme eingehen, nämlich Fangmethode, Geisternetze und Beifang.
Die Lebewesen werden nicht mehr einzeln mit der Angel von einem idyllischen Fischerboot aus ihrem Lebensraum entnommen. Heutzutage werden für den Fischfang riesige, industrielle Trawler verwendet. Mit ihren Netzen schleifen sie über den von Seesternen, Anemonen, Würmern, Krebsen, Muscheln, Schnecken uvm. bewohnten Meeresboden. Solche Grundschleppnetze können so groß sein, dass 13 Jumbo-Jets darin Platz haben und sie zerstören jährlich 3,9 Milliarden Hektar Meeresboden (Das entspricht 4.316 Fußballfeldern pro Minute!).
Es gibt natürlich noch viele weitere Fangmethoden, aber alle haben ein selbes Problem: Wenn die Netze kaputt sind und im Meer entsorgt werden, oder dort verloren gehen, stellen sie eine sehr große Gefahr dar, die unweigerlich zum qualvollen Tod vieler Lebewesen führt. Sogenannte Geisternetze gibt es nicht wenige, fast die Hälfte des Mülls im größten “Müllstrudel” der Welt besteht aus treibenden Fischernetzen. Die darin wehrlos gefangenen Tiere und der Aas-Geruch locken weitere Lebewesen an, die sich ebenfalls verfangen können. So kann dieser Kreislauf des Todes Jahre und Jahrzehnte lang weitergehen. Denn bis die aus Kunststoff bestehenden Fischernetze zerfallen, vergehen ungefähr 600 Jahre! Und selbst dann ist das Plastik nicht verschwunden, sondern zerfällt weiter zu Mikroplastik …
Ein letzter Unterpunkt ist natürlich der Beifang. Und da hier Zahlen wohl am einfachsten verdeutlichen, wie groß diese Problematik tatsächlich ist, hier eine kleine Auflistung (mehr zum Thema Beifang folgt im nächsten Beitrag von Nadine Kirschner):
- 40% aller marinen Lebewesen, welche gefangen werden, werden wieder über Bord geworfen (meist (fast) tot oder verletzt)
- pro Monat werden ungefähr 269 Schweinswale, 900 Robben und 5.000 Seevögel getötet (isländische Fischerei)
- Insgesamt werden jedes Jahr > 300.000 Wale, Delfine und Schweinswale durch Beifang getötet
Eine Sepie (Sepia officinalis) als Beifang im Netz eines Fischers vor der Insel Plavnik / Foto: Nikolas Linke
3. Der Konsum anderer Lebewesen stellt uns vor eine ethische Frage!
In den beiden oberen Abschnitten habe ich versucht, einen möglichst kurzen Überblick über die Problematik des Konsums von Lebewesen aus dem Meer zu geben. Die Schlussfolgerung dessen ist eigentlich ganz klar: Weniger oder gar keine Meerestiere mehr konsumieren.
Aber es gibt noch zwei weitere Grundsatz-Fragen, die mich beschäftigen und die ich mit dem Leser teilen möchte:
- Ist es für Dich vertretbar für dich, andere Lebewesen zu töten, nur zur Befriedigung deiner Essens-Lust?
- Ist es für Dich vertretbar für dich, anderen Menschen ihre Lebensgrundlage wegzunehmen, nur weil du es kannst?
Zu Frage 1.: Fische, sowie andere Meereslebewesen haben ein komplexes Nervensystem, besondere Sinne und können auf ihre eigene Weise fühlen. Sie können also Schmerz, Stress und Angst empfinden, wenn sie in Netzen zusammengepfercht werden und auf den Decks der Trawler qualvoll ersticken. Wer entscheidet, ob es okay ist, sich derartig über andere Lebewesen zu stellen? Ich bin der Meinung: nur weil wir in der Lage dazu sind, ist es nicht automatisch richtig.
Zu Frage 2.: Wenn ich von uns spreche, meine ich die west-europäische, reiche Bevölkerung, die nicht auf die Meerestiere als Nahrungsquelle angewiesen ist, im Gegensatz zu indigenen Insel-Völkern oder anderen Ländern ohne nutzbare Agrarfläche. Ich finde, wir müssten nicht mit den großen Trawlern die Meere leeren, wenn wir gar nicht von dieser Nahrungsquelle abhängig sind.
Mich haben genau diese Fragen und Gründe dazu bewegt keine Meerestiere mehr zu konsumieren! Wie sieht es bei dir aus?
Ich jedenfalls, wünsche mir eine Welt, in der man alle Tiere „nur noch“ in ihrem Lebensraum beobachtet und wertschätzt! Der Verzehr von Fisch und anderen Meerestieren kann mehr ungesund als gesund sein und zusätzlich zerstört ihr Fang ganze Lebensräume.
Man sollte sich die ethische Frage stellen, ob es okay ist, für den eigenen kurzweiligen Genuss ein anderes Leben zu nehmen. Ich persönlich bin einfach so begeistert und fasziniert von den Tieren im Meer, von den Sepien und Oktopussen, wie sie sich bewegen und wie sie uns anschauen, mit ihren schlitzförmigen Augen (die auf eine ganz andere Art und Weise entstanden sind als unsere, aber trotzdem genauso leistungsstark sind). Überhaupt, wie sie ihre Umwelt wahrnehmen, wenn man bedenkt, dass 2/3 des Gehirns eines Oktopusses in den Armen verteilt sind. Wie sie in kürzester Zeit ihre Körperfarbe und Körperstruktur vollkommen verändern können… Ich wünsche mir, dass viel mehr Menschen die Möglichkeit bekommen, diese Tiere beim Schnorcheln in ihrer bezaubernden Unterwasser-Welt zu sehen … und sich (dadurch) gegen Fisch und Meeresfrüchte als Nahrungsquelle entscheiden!
Ich wünsche mir, dass jeder Mensch die wunderbare Unterwasserwelt entdecken darf und selbst von ihr verzaubert wird! / Foto: Nikolas Linke
Quellen
https://www.bund.net/meere/belastungen/chemikalien/
Marine protection targets: an updated assessment of global progress, published online by Cambridge University Press: 26 October 2015 Lisa Boonzaier and Daniel Pauly
Geographic Differences in Persistent Organic Pollutant Levels of Yellowfin Tuna Sascha C T Nicklisch 1 , Lindsay T Bonito 1 , Stuart Sandin 1 , Amro Hamdoun 1https://www.theguardian.com/environment/2019/nov/06/dumped-fishing-gear-is-biggest-plastic-polluter-in-ocean-finds-report#:~:text=A%20recent%20study%20of%20the,which%2086%25%20was%20fishing%20nets
https://revlektor.de/plastikmuell-in-den-ozeanen/
Defining and estimating global marine fisheries bycatch R.W.D. Davies a , S.J. Cripps b , A. Nicksona , G. Porter c https://www.hafogvatn.is/static/files/skjol/techreport-bycatch-of-birds-and-marine-mammals-lumpsucker-en-final-draft.pdf
Bericht: Jessica Högermeyer
Redaktion: Julian Robin
Fotos: Nikolas Linke, Web-Quelle (siehe Bildtext)
Veröffentlicht am 01.10.2023