David Abulafia

Das Mittelmeer – Eine Biographie

Das unendliche Meer – Die große Weltgeschichte der Ozeane.

Menschen, die nicht an der Küste leben, neigen dazu, das Leben am Meer zu romantisieren. Und zweifellos ist es romantisch. Warum sonst kämen die Leute an die Küste? Heute fliegen wir, im 16. und 17. Jahrhundert machten reiche junge Menschen in Pferdekutschen ihre Kavaliersreise nach Italien. Aber es fing noch früher an.

Die Sehnsucht geht bis weit vor Christus zurück“, sagt David Abulafia, dessen Bücher ich hier vorstellen möchte, „und auch die Menschen in den Mittelmeerländern kannten sie. Denken Sie an die Odyssee des griechischen Dichters Homer. Manche haben versucht, die von Homer beschriebenen mysteriösen Reisen auf einer Karte nachzuvollziehen, obwohl das meiste offensichtlich ausgedacht ist. Mensch und Mittelmeer, das ist eine sehr – verzeihen Sie das Wortspiel – tiefe Geschichte.

Eine Geschichte der Menschen am Meer

David Abulafia ist Cambridge-Professor für Mediävistik mit Spezialgebiet „Geschichte des Mittelmeerraums“. Als Buch-Autor begann er 2013 mit Das Mittelmeer – Eine Biografie. Das historische Standardwerk öffnet uns die Augen, wenn es um das Verständnis des Mediterrans geht. 2021 erschien dann Das unendliche Meer – Die große Weltgeschichte der Ozeane auf Deutsch. Hier geht es um das Ganze, die Meere allgemein, das Weltmeer.

Für alle, die das Meer und den Ozean lieben und mehr darüber erfahren wollen, ist David Abulafia ein Gigant unter den Historikern. Mit seinem zweiten Werk ist er definitiv einer der großen Meereshistoriker geworden, so wie Fernand Braudel (1902 – 1985) es vor ihm war, dieser Großmeister der französischen Geschichtsschreibung und einer der bekanntesten Historiker des 20. Jh., insbesondere wenn es um das Mittelmeer und seine Küsten ging.

David Abulafia scheint sich – anders als Braudel – weniger für die Geographie der Mittelmeerregion und der Ozeane zu interessieren als vielmehr für die Menschen und ihre Bewegungen. Er schreibt: „Noch immer gibt es eine Tendenz, den Mittelmeerraum über den Olivenanbau oder die ins Mittelmeer mündenden Flusstäler zu definieren […]. Natürlich kann man das Hinterland – die Produkte, die dort erzeugt wurden und die ihren Weg durch diese Regionen nahmen – nicht außer Acht lassen, doch dieses Buch konzentriert sich auf die Menschen, die tatsächlich die Füße ins Wasser steckten.“

Das Mittelmeer – Eine Biographie, Autor David Abulafia, Verlag: S. FISCHER

Die Wirklichkeit bleibt romantisch

Ich selbst bin zwar nicht am Meer geboren, habe aber große Teile meines Erwachsenenlebens an den Meeren in vielen Teilen der Erde verbracht. Dabei habe ich mich sowohl der Naturwissenschaft als auch der Geschichte und der Psychologie unserer Beziehung zum Meer gewidmet. Dabei liest man viele nüchterne Studien. Dennoch höre ich nicht auf, das Leben am Meer romantisch zu finden. Heute allerdings nicht (mehr) in naiver Weise. Das Leben am Meer war immer schon hart. Dass ich ein objektiveres und differenzierteres Bild von den Meeren und ihren Küsten habe, verdanke ich David Abulafia. Seit einigen Jahren bereichern seine Bücher mein Leben ungemein. Mehr noch, sie haben mir das Blickfeld erweitert.

Da ich mich mehr als 20 Jahre am Roten Meer aufgehalten habe, hat mir Abulafias zweites Buch besonders gefallen. Denn gleich in den ersten Kapiteln beschäftigt er sich mit dem Indischen Ozean, dessen Nebenmeer das Rote Meer ist – so übrigens, wie das Mittelmeer eines des Atlantiks. Überhaupt haben das Rote Meer und das Mittelmeer bemerkenswerte Gemeinsamkeiten. Hier erfahren wir also alles über die uralten Handelswege zwischen Ägypten, Europa und Asien, mit Indien und später China. Was man über El Quseir und seinen versandete antiken Hafen Myos Hormos wissen kann, über die Expedition der Hatschepsut (eine der ersten großen Meeresexpeditionen der uns bekannten Geschichte), über Scharen von Pilgern, die von Afrika nach Saudi Arabien übersetzt haben, über die unheimliche Bedeutung des Handels und Austauschs, so dass sogar griechischer Wein schon vor vielen Jahrtausenden in Indien gelandet ist und dort von der Oberschicht gern getrunken wurde – über all das schreibt Abulafia in seinen Büchern.

Das unendliche Meer – Die große Weltgeschichte der Ozeane, Autor David Abulafia, Verlag: S. FISCHER

Weltmeer und Weltgeschichte

Die Meere haben von Anfang an die Geschichte der Menschheit bestimmt. Rohstoffe, fertige Waren, Ideen oder Religionen, so gut wie alles kam übers Wasser von einem Volk zum anderen. Abulafia erzählt die Weltgeschichte nach, wie wir sie selten betrachtet haben: Küsten und Meere trennen nicht, sondern verbinden. Jahrhundertelang war es leichter, eine Schiffsladung von Marseille nach Alexandria zu bringen als einen Karren über Land von Marseille nach Paris.

David Abulafias Bücher verbinden die Vergangenheit mit Gegenwart und Zukunft. Sie zeigen, dass alles schon einmal da war und es kaum etwas Neues auf der Welt gibt. Umweltzerstörung etwa haben schon viele Zivilisationen betrieben, und immer war es ein Schnitt ins eigene Fleisch.

Wie andere sensible und denkende Menschen auch, sorgt sich Abulafia um die zukünftigen Generationen, die mit den Folgen dessen leben müssen, was wir heute tun. In einem Interview mit Zeit Online hat er kürzlich darüber gesprochen. Auch in seinen Büchern klingt durch, dass Abulafia den Umweltschutz für eine der wichtigsten Aufgaben unserer Generation hält. Dem können wir als Naturschutzorganisation nur zustimmen. Vertiefen Sie sich in diese Bücher. Sie werden es genießen, viel dazulernen und besser verstehen, was das Weltmeer für die Welt bedeutet.



Bericht: Robert Hofrichter
Redaktion: Christina Widmann
Gestaltung: Helmut Wipplinger