Gänsegeier (Gyps fulvus) lässt sich von Aufwinden über Cres tragen / Foto: Helmut Wipplinger
Natur verstehen: Die Bedeutung der Schafzucht für die Gänsegeier (Gyps fulvus) von Plavnik und Cres
Gänsegeier zählen zu den größten Vögeln der Welt. Bei unseren Ausflügen mit der Schule am Meer bekommen die Besucher fast garantiert einige der Geier zu sehen, denn wir besuchen sie in der Nähe ihrer Nistplätze in den Steilwänden von Plavnik. Erfahre hier, was es über den Gänsegeier zu wissen gibt: Wie er lebt, wie viele es gibt, und wie du helfen kannst, diese Tiere zu schützen.
Bei unseren Exkursionen mit der Schule am Meer gehören Geier fest zum Programm. Nachdem wir einen Tag lang die Unterwasserwelt der Adria und ihre Bewohner studiert, und mit etwas Glück sogar einige Große Tümmler (Tursiops truncatus) erblickt haben, kommen wir am späteren Nachmittag zu den Klippen von Plavnik. In zwei Steilwänden sind hier oft mehr als zehn Tiere zu sehen. Die Inselpopulation auf Cres, Plavnik und Krk ist einzigartig, da die Geier hier ihre Horste auf den steil abfallenden Klippen bauen, ganz nah – manchmal weniger als 10 m – über dem Meeresspiegel.
Geier ist nicht gleich Geier
Bei den Geiern unterscheidet man nach aktuellem Stand die Altweltgeier (Gypini) und Neuweltgeier (Cathartidae), wobei erstere zu der Familie der Habichtartigen (Accipitridae) zählen, während die Neuweltgeier eine eigene Familie unter den Greifvögeln (Accipitriformes) bilden. Der molekularen Evolutionsforschung zufolge entwickelten sich diese beiden Gruppen konvergent, sind also nicht direkt miteinander verwandt. Unsere Gänsegeier (Gyps fulvus) gehören zur Familie der Altweltgeier.
Merkmale der Geier
Im Allgemeinen sind Geier beeindruckend große Vögel, die segelnd und gleitend nach Aas Ausschau halten. Die Flügelmuskulatur dieser Vögel ist im Verhältnis zum Körpergewicht und zur Flügeloberfläche schwach ausgebildet, weshalb sie auf Thermik angewiesen sind und selten früh morgens fliegen. Der Kopf der meisten Arten ist ungefiedert als Folge der Nahrungsspezialisierung, im Zuge derer sie auch das Innere von Kadavern verzehren. Einige Arten haben einen langen Hals, den sie im Flug einziehen ähnlich wie Reiher. Die Krallen sind recht kurz.
Bei den Bootsausflügen der MareMundi Station Krk stoßen wir vor allem auf die beeindruckenden Gänsegeier (Gyps fulvus).
Gänsegeier im Detail
Sie sind größer als die meisten Adler und zählen zu den größten Vögeln überhaupt. Ihr Körpergewicht kann bis zu 15 kg betragen, die Flügelspannweite bis zu 2,80 m. Ihre beachtliche Größe ist von weitem am zeitlupenartig langsamen Flügelschlag erkennbar.
Die Flügel sind breit und mit sehr langen „Fingern“ ausgestattet, d.h. die äußeren Handschwingen sind tief gekerbt und eingebuchtet. Die Armschwingen sind oft länger als die inneren Handschwingen, wodurch ein geschwungener Hinterrand entsteht. Die Spitzen der Armschwingen sind jedoch abgerundet, weshalb der Flügelhinterrand nicht ausgefranst wirkt wie etwa bei Mönchsgeiern (Aegypius monachus) und Bartgeiern (Gypaetus barbatus). Der Schwanz ist kurz und abgerundet und erscheint bei vielen Individuen leicht keilförmig. Gänsegeier haben einen hellen Kopf, der durch den im Flug eingezogenen Hals wenig auffällt.
Der Flug dieser Vögel erscheint schwerfällig: Langsame, tiefe Schläge, die von Gleitstrecken abgelöst werden. Beim Segeln hält der Gänsegeier die Flügel V-förmig angehoben, beim Gleiten hingegen flach oder leicht gewölbt. Der Gleitflug wird ab und zu von einem einzigen, für große Geier typischen, tief ausholenden Flügelschlag unterbrochen. Die Gänsegeier erreichen im Flug Spitzengeschwindigkeiten von 120 km/h. Während der Nahrungssuche segeln die Tiere allerdings gewöhnlich mit einer Geschwindigkeit von 40 – 60 km/h.
Gänsegeier ruhen am späten Nachmittag an den Klippen von Plavnik / Foto: Robert Hofrichter
Gänsegeier und Schafzucht
In der Kulturlandschaft sind die Geier abhängig von der traditionellen Schafzucht: Die Schafe sind ganzjährig im Freien, was ihre natürliche Sterberate erhöht. Ohne die Herden könnten die Geier nicht überleben; sie ernähren sich ausschließlich von Aas und greifen niemals lebende Beute an. Ihrerseits beseitigen die Aasfresser Tierkadaver von der Weide und verhindern damit, dass sich Epidemien in den Herden ausbreiten. Geier und traditionelle Schafzüchter brauchen einander.
Die enge Verbindung zwischen Gänsegeiern und Viehherden existiert bereits seit Jahrtausenden. Die wirtschaftliche Bedeutung der Schafzucht ist allerdings in den letzten Jahren gesunken, weil sie sich nicht mehr auszahlt. Wo die Herden verschwinden, verlieren die Geier ihre Lebensgrundlage; die Kadaver von Wildtieren reichen nicht, um eine so große Zahl von Aasvögeln zu ernähren.
Für die Politik eines Landes wie Kroatien wäre es relativ leicht, den Geierschutz maßgeblich zu unterstützen. Die Geier am Himmel über den Inseln der Kvarner Bucht werden nur dann erhalten bleiben, wenn man auch die alte Tradition der Schafzucht erhält. Eine zweite Möglichkeit wäre, Schlachtabfälle auszulegen für die Aasfresser. Das geschieht z.B. in Spanien.
Lebensraum und Fortpflanzung der Gänsegeier
Gänsegeier bevorzugen als Lebensraum offene, trockene Täler oder Hochebenen, die sie nach Aas absuchen. Sie segeln und gleiten gern vor Steilhängen und Klippen. Ihre Nester bauen sie auf Felskanten oder in Felshöhlen steiler Hänge. Gänsegeier leben oft in lockeren Kolonien, wo 10 – 20 Paare gemeinsam ihre Horste errichten.
Diese Vögel leben sehr lange: durchschnittlich 40 Jahre. Einzelne Gänsegeier erreichen sogar 60 Jahre. Das Weibchen legt pro Jahr ein Ei, manchmal schon im Dezember. Beim Brutgeschäft wechseln sich die Eltern ab. Nach dem Schlüpfen bleibt der Jungvogel ungefähr 4 Monate lang im Horst, bevor er auf eigene Nahrungssuche ausfliegt. Aber auch dann bleibt er noch für 1 bis 2 Monate an die Eltern gebunden, die ihn das Fliegen lehren.
Nachdem das Jungtier selbstständig geworden ist, verlässt es die Heimatkolonie und wandert: nach Norden in den Alpenraum und später nach Süden bis ins mittlere Afrika. Nach fünf Jahren Wanderschaft wird der Vogel geschlechtsreif, findet seinen Brutpartner und kehrt mit ihm in seine Heimat zurück, um dort einen Horst zu bauen. Manchmal auf demselben Felsen, auf dem er selbst geschlüpft ist.
Vogelreservate auf Cres
Gänsegeier sind in Kroatien streng geschützt. Sowohl das Töten der Vögel als auch das Stören beim Brutgeschäft sind Straftaten, die mit bis zu 40 000 Kuna Bußgeld geahndet werden. Das sind mehr als 5 000 €.
In zwei Vogelreservaten („Podokladi“ im mittleren und „Kruna“ im nördlichen Teil der Insel) brüten 50 – 60 Geierpaare.
Das Umweltzentrum Caput Insulae – Beli (ECCIB) beobachtet die Vogelpopulation im Kvarner Archipel. Junge Geier werden in ihren Nestern beringt und ihre Flügel markiert, was es ermöglicht, ihre Wanderwege in ganz Europa, Asien und Afrika zu überwachen. Die Station beinhaltet darüber hinaus auch eine Genesungsstätte (Rehabilitationsgehege), in der vergiftete oder verletzte Vögel so lange gepflegt werden, bis sie wieder in die Freiheit entlassen werden können. Zusätzlich betreibt das Zentrum zwei Geierrestaurants, also Dauerfutterstellen für entlassene und durch Futtermangel bedrohte Tiere. In diesen werden jährlich bis zu hundert Tonnen Fleisch zugefüttert.
Gänsegeier zählen mit einer Flügelspannweite von bis zu 2,80m zu den größten Vögeln überhaupt / Foto: Robert Hofrichter
Wie Du helfen kannst, diese einzigartigen Tiere zu schützen:
- Bitte fahre mit dem Boot nicht zu nahe oder zu schnell an die Küste heran, an der die Geier nisten. Mit einem Fernglas kann man die Tiere wunderbar aus der Ferne beobachten und ersparst ihnen enormen Stress.
- Vermeide in der Nähe der Klippen und Nester jedes laute Geräusch. Leider benehmen sich manche Touristen barbarisch und versuchen, die Vögel aufzuschrecken, damit sie auffliegen.
- Melde jedes unangebrachte Verhalten gegenüber den Tieren, wie z. B. Jagen, Stören, zu den Nestern klettern, Diebstahl der Eier etc.
- Solltest du ein verletztes, vergiftetes oder flugunfähiges Tier entdecken, melde es dem Umweltzentrum Caput Insulae – Beli auf Cres (Tel. 051/840-525).
Mit der Station „Schule am Meer“ der Meeresschutzorganistion MareMundi in Punat auf Krk kannst du Geier perfekt beobachten, oder – beispielsweise als Lehrer – dieses Naturerlebnis deinen Schülern ermöglichen. Fachkundige Erklärungen und die Vermittlung der wichtigsten Schutzmaßnahmen für die imposanten Vögel gehören immer dazu.
Künftiges Geiersterben? – EU-zugelassenes Schmerzmittel tödlich für Geier
Indien und Pakistan beherbergten ehemals einen sehr großen Bestand an Geiern. Als allerdings das Schmerzmittel Diclofenac in der Tierzucht eingesetzt wurde, erlitten sie ein Massensterben. Auch bei einigen toten Adlern wurde Diclofenac als Todesursache nachgewiesen. Die Aufnahme des Medikaments durch Verzehren von Kadavern, führt bei Geiern und Adlern zu einem todbringenden Nierenversagen bzw. Nierengicht.
Indien hat Diclofenac in der Tierzucht inzwischen verboten. Aber 2014 gab die EMA (European Medicines Agency) dieses Mittel für die Veterinärmedizin frei. Spanien und Italien begrüßten die Genehmigung. Ausgerechnet dort leben die meisten Geier Europas.
Ein Rückschlag für den Artenschutz?
In Spanien und Italien leben 80% der europäischen Geier. Nachdem Jagd, Lebensraumzerstörung und das Aufsammeln und Entsorgen von Tierkadavern die Bestände zurückgehen ließen, griff der Artenschutz ein. Die Regierungen wiesen Schutzgebiete aus und erließen Gesetze. Wo zu wenig Aas anfällt, füttert man die Geier mit Schlachtabfällen. Dank dieser Maßnahmen ist die Anzahl der Brutpaare wieder gestiegen.
Ein Medikament, das zwar den Weidetieren nützen mag, aber Aasvögel vergiften kann, könnte diese Bemühungen zunichte machen. Zwar werden weiterhin die meisten verendeten Weidetiere eingesammelt und entsorgt. Aber wenige mit Diclofenac belasteter Kadaver würden reichen, um eine große Zahl von Geiern zu töten: Die Vögel gehen in Gruppen auf Nahrungssuche. An jedem Kadaver fressen in der Regel zwei oder mehr Geier. Bisher ist erst ein toter Aasvogel gefunden worden, der eindeutig an Diclofenac-Vergiftung gestorben ist. Hoffen wir, dass es der einzige bleibt.
Referenzen & weiterführendes Lesen:
Lingenhöhl, D. (2021, April 9). Geiersterben erreicht Europa. Spektrum.
https://www.spektrum.de/news/medikament-diclofenac-toetet-moenchsgeier/1857121
Häfner, R. (2021, Mai 5). Tödliches Medikament – Vogelschützer warnen vor Geiersterben in
Europa. GEO. https://www.geo.de/natur/tierwelt/geier–beweis-fuer-ersten-toten-geier-durch-diclofenac-in-europa-30514490.html
Naturschutzbund Deutschland (NABU). (2014, März 6). Tödliche Gefahr für Europas Geier –
Diclofenac in Italien und Spanien für Nutztiere zugelassen. NABU. https://www.nabu.de/tiere-und-pflanzen/voegel/artenschutz/geier/16608.html
BIOPRO Baden-Württemberg GmbH (2008, Jänner 24). Ein molekularer Stammbaum der
Greifvögel. https://www.biooekonomie-bw.de/fachbeitrag/aktuell/ein-molekularer-stammbaum-der-greifvoegel
Kiesewetter, B. (2020, Oktober 19). Geier. SWR Kindernetz.
https://www.kindernetz.de/wissen/tierlexikon/steckbrief-geier-100.html
Beli Visitor Centre and Rescue Centre for Griffon Vultures. Griffon Vultures.
https://belivisitorcentre.eu/en/the-last-croatian-population-of-griffon-vultures-in-kvarner/
Bericht: Helene Handsteiner, Ena Kulauzovic, Robert Hofrichter
Redaktion: Christina Widmann, Helmut Wipplinger
Fotos: Robert Hofrichter, Helmut Wipplinger