Neues zum Hasenkopf-Kugelfisch, dem neuen Lieblingsmonster der Medien…
Derzeit geistern sie beinahe täglich durch die Online- und Printmedien. Der Sommerurlaub am Mittelmeer und Adria naht – und da sind sie wieder, die Stars der Sensationspresse … Nein, diesmal nicht der „todbringende“ Weiße Hai (oder irgendein winziger Hainachwuchs in Strandnähe ganz allgemein), auch nicht der bootversenkende „Killerwal“ oder Orca vor Gibraltar, es ist ein anderer mit dem niedlich klingenden Namen: Hasenkopf-Kugelfisch. Ganz neu ist die Geschichte nicht, denn MareMundi berichtete bereits vor einem Jahr über die damalige mediale Aufregungen in Bezug auf diesen gewöhnlich nur 40 cm messenden Fisch [1]. Dass es unter ihnen auch Goliaths mit einem Gewicht von sieben Kilo und einer Länge von einem Meter gibt, ändert auch nicht viel daran, dass Lagocephalus sceleratus, wie der Hasenkopf-Kugelfisch wissenschaftlich heißt, an und für sich ein eher unauffälliger Geselle ist. Dass er die Netze der Fischer anknabbert? – Tja, die Schäden, die Fischer der Unterwasserwelt antun, sind ungleich größer.
Die mediale Aufregung ist groß: „Einer der giftigsten Fische der Welt macht es sich in der Adria gemütlich“, titelt der Standard [2], „Kroatische Wissenschaftler warnen vor dem invasiven Raubtier“ bemerkt die Kleine Zeitung [3]. Raubtier? Tja, der Hauptanteil der Nahrung besteht aus marinen Wirbellosen. Im Jahr 2021 setzte die türkische Regierung auf Hasenkopf-Kugelfische sogar ein Kopfgeld aus.
Für die MareMundi-Redaktion ist es Grund genug, der fast schon apokalyptisch anmutenden Bedrohung aus dem Indopazifik noch einmal in sachlicher Manier nachzugehen. Während wir vor einem Jahr zumindest noch in der Nordadria sicher waren, denn weiter südlich war der Übeltäter schon längst angekommen, drohten uns die Berichterstatter mit folgenden Schlagzeilen: „Tödliche Kugelfisch-Art jetzt auch in der Adria verbreitet“, „Gefahr in der Adria: Neue Fischart in Kroatien entdeckt“ oder „Heiße Adria – und ein fieser Fisch könnte kommen“. Nun, jetzt ist der definitiv bis in die nördlichste Adria vorgedrungen – und damit im gesamten Mittelmeer verbreitet. Im Frühjahr 2024 wurde der Fisch zum ersten Mal in der Bucht von Medulin in Kroatien beobachtet.
Hasenkopf-Kugelfisch – In den griechischen Medien sprach man schon 2010 vom „schlimmsten fremdartigen Fisch“ im Mittelmeer
Noch einmal die Fakten
Kugelfische breiten sich seit vielen Jahren immer schneller im Mittelmeer aus und dringen dabei nach Westen und auch nach Norden in die Adria vor. Manche Körperteile dieser Fische (speziell innere Organe) sind tödlich giftig, denn sie enthalten TTX (Tetrodotoxin), eines der stärksten Nicht-Protein-Gifte der Natur. Der kompliziert klingende Name hat eine einfache Erklärung: Die Familie, zu der diese Fische ichthyologisch zählen, heißt Tetraodontidae, was „Vierzahnartige“ bedeutet. Die Namensgebende Gattung der Familie trägt eben den Namen Tetraodon, Vierzahn. Alle Vertreter dieser ganzen Verwandtschaft haben ein speziell angepasstes Gebiss, die Kugelfische besitzen zwei Zahnplatten oben und zwei unten – macht insgesamt „vier Zähne“.
Wer also von TTX nichts weiß und zufällig einen solchen Fisch fängt und verzehrt, könnte durch das potente Nervengift tatsächlich qualvoll sterben. Die tödliche Dosis liegt bei etwa 10 Mikrogramm Toxin pro Kilogramm Körpergewicht. Diese Gefahr ist vor allem dort gegeben, wo der Fisch neu auftaucht, wo ihn die Menschen vorher nicht oder zu wenig kannten. Wie z.B. im Israel des Jahres 2008, als allein im Dezember 13 Vergiftungsfälle in Zusammenhang mit dem Konsum dieser Fische auftraten. Doch bei der intensiven Berichterstattung lernen die Menschen schnell die Gefahr kennen, die vom unsachgemäßen Konsum von Kugelfischen ausgeht. Wenn man sie hingegen nicht konsumiert und ihre Zubereitung speziell geschulten und zertifizierten japanischen Fugu-Köchen überlässt, kann einem bis auf ein Taubheitsgefühl im Mund gar nichts passieren. Von einem „invasiven Raubtier“ zu sprechen ist, sagen wir es diplomatisch, eine Übertreibung. Regional werden Hasenkopf-Kugelfische sogar verzehrt, was keine Empfehlung für Unerfahrene sein soll. Aber das Muskelgewebe der Fische enthält das TTX-Gift nicht, sondern speziell die Innereien. Diese sachkundig zu entfernen, ohne das Fleisch zu „kontaminieren“, zählt zur Kunst der Fugu-Köche.
Hasenkopf-Kugelfisch (Lagocephalus sceleratus) / Foto cc Wikipedia Rickard Zerpe
Keine Hysterie und Panik verbreiten
Die Natur hat eine Reihe von potenten Toxinen hervorgebracht. Sie sind überall, rund um uns, in Pilzen, Pflanzen, Tieren und Mikroorganismen. Kugelfische spielen in dieser toxischen Liga keinesfalls die Hauptrolle, man kann sie (außer wenn Ahnungslose sie essen) ruhig als harmlos betrachten. Auch ihr, liebe Leserin und lieber Leser, könnt weiterhin einen völlig sorglosen Urlaub an der Nordadria erleben. Spektrum.de [4] schrieb etwa 2021 über Giftschlangen – nur um einen Vergleich zu haben: „Pro Jahr werden allein 5,4 Millionen Menschen von Giftschlangen gebissen, und zwischen 81 000 und 138 000 sterben daran. Die Gifte sind nicht nur tödlich, sondern können Lähmungen, Blutungsstörungen, Nierenversagen und Gewebeschäden verursachen, die zu dauerhafter Behinderung oder Amputation von Gliedmaßen führen können. Kinder sind auf Grund ihrer geringeren Körpermasse stärker betroffen.“ In Japan, wo der Verzehr der Delikatesse Fugu eine alte Tradition ist, kommt es etwa zu 30 bis 50 Vergiftungen pro Jahr, und nur selten führen sie zum Tod. Im weltweiten Maßstab ist die Zahl der TTX-Vergiftungen durch Kugelfische vernachlässigbar, wenn man sie mit anderen Todesursachen und schweren Toxonosen vergleicht.
Respekt vor der Natur bedeutet auch Respekt vor ihren Giften zu haben, doch ist Respekt nicht mit Panik und grundloser Hysterie gleichzusetzen. An die 100-mal hat die Evolution in der Natur unabhängig voneinander potente Toxine hervorgebracht, die für Menschen lebensbedrohlich werden können. Lebewesen haben im Verlauf ihrer Evolution ähnliche Lösungen für dieselben Herausforderungen entwickelt. Biologen sprechen von konvergenter Evolution.
Tetrodotoxin ist eines der stärksten Nervengifte der Natur. Es blockiert spannungsaktivierte Natriumkanäle, die auch in Neuronen vorkommen. Einfach erklärt hemmt TTX die Ausbreitung von Reizen im Nervensystem. In der Medizin und biologischer Forschung spielt es eine enorm wichtige Rolle, seitdem es 1950 aus Ovarien von Kugelfischen erstmals isoliert wurde. Uns droht durch Kugelfische aber keinerlei Gefahr, wenn wir sie nicht essen. Übrigens, nicht nur die mit Kugelfischen verwandten Igelfische, sondern auch die legendären Blaugeringelten Kraken enthalten das Gift, ebenso manche Seesterne, Krebse und Schnecken, an Land einige Plattwürmer, Stummelfußfrösche, Westamerikanische Wassermolche und manche weitere. Es ist daher naheliegend, dass nicht diese Tiere das Gift bilden, sondern sie es aus ihrer Umwelt aufnehmen und speichern. Schon seit mehr als 30 Jahren sind marine Bakterienstämme bekannt, die Vorstufen von TTX synthetisieren können.
Tetrodotoxin (TTX) – eines der stärksten Nervengifte in der Natur
Einige komplizierte Fachausdrücke: Lesseps’sche Migration und Tropikalisierung des Mittelmeeres
Wie kommen Kugelfische ins Mittelmeer? Sie sind durch den Suez-Kanal aus dem Indischen Ozean eingewandert. Auf diesem Weg sind viele invasive Arten ins Mare Mediterraneum gelangt, seitdem Menschen den Kanal gegraben und das Rote Meer mit dem Mittelmeer verbunden haben. Zu Ehren des Erbauers des Suez-Kanals nennt man dieses Phänomen Lesseps’sche Migration.
Seit Jahrzehnten kommen invasive Arten und verändern das Mittelmeer. Die ursprüngliche Fauna geht zurück oder verschwindet ganz, die Exoten breiten sich aus und besetzen freigewordene Nischen. Man spricht von der Tropikalisierung des Mittelmeers: Tropische Meeresfauna gelangt in die wärmeren Teile des Mediterrans. Die Kugelfische sind nur eine Verwandtschaft von vielen.
In der Adria immer weiter nördlich
In der Adria fand man den ersten Kugelfisch im Jahr 2012 bei der Insel Jakljan. Bald schon folgten weitere Beobachtungen bei Tribunj und bei Dubrovnik. 2022 folgten Sichtungen bei Pašman, und zwischenzeitlich gehen kroatische Fachleute davon aus, dass die Art in der Adria etabliert ist und sich weiter ausbreiten wird.
Drei Dinge beunruhigen Fischer und Fachleute: Das Gift dieser Fische, ihr kräftiges Gebiss (und der Schaden, den sie an Netzen und anderen Gegenständen verursachen) und schließlich die gesamte Veränderung des Ökosystems Adria (bzw. Mittelmeer generell). Denn Kugelfische scheinen sich besonders gut für eine Invasion zu eignen: Sie haben im Mittelmeer keine Fressfeinde, und auch der Mensch kann sie nicht ohne Weiteres essen. Seit 2024 haben wir nun den Beweis, dass die Art in der nördlichsten Adria angekommen ist. Die kroatischen Medien waren voll mit diesen Berichten, und die internationale Presse schloss sich da gerne an.
Die Dinge (und auch die Neobiota) richtig einordnen
In unserem großen Werk über „Das Mittelmeer“ [5] widmen wir uns auf Hunderten Seiten Umweltfragen rund ums Mittelmeer. Natürlich durften L. sceleratus und auch all die anderen eigenwanderten Kugelfische nicht fehlen. Doch ein Blick in das Inhaltsverzeichnis des Kapitels 12 über die Umwelt [6] zeigt, dass es wesentlich größere Probleme gibt, die nicht nur das Mittelmeer und die Adria bedrohen, sondern sogar das Bestehen der menschlichen Gesellschaften wie wir sie gegenwärtig kennen. Der Klimawandel macht sich auch im Mediterran bemerkbar, die südlichen Teile Europas werden zu Wüsten wie die Sahara zu einer geworden ist, der Verlust der Biodiversität ist angsteinflößend … so könnten wir lange fortsetzen. Wir empfehlen euch die Themen des Umweltkapitels anzusehen.
Kugelfische sind nur eine Gruppe aus insgesamt etwa 1 000 Lesseps`schen Migranten aus dem Roten Meer, Einwanderern, die durch den Suezkanal ins Mittelmeer gelangt sind. Sie breiten sich mit der Erwärmung des Meeres immer weiter nach Westen und Norden aus. Und auf anderem Wege gelangen auch neue Arten (Neobiota) in den Mediterran. Fast alles, was auf unseren Tellern landet, sind eigentlich Neobiota, in den letzten Jahrhunderten erst nach Europa gelangt. Neobiota sind ein normales Phänomen unserer Welt und ganz speziell im Zeitalter der Globalisierung nicht mehr wegzudenken. Man soll sie nicht verharmlosen, denn manche sind extrem invasiv und schädigen die autochthone Fauna und Flora, doch ganz wegbekommen werden wir sie nie. Auch nicht die Kugelfische aus dem Mittelmeer. Wir sollten uns lieber der Bekämpfung jener Negativentwicklungen widmen, die wirklich unsere Existenz gefährden.
Quellen
[1] https://mare-mundi.org/aufregung-in-der-adria-wie-giftig-ist-der-kugelfisch/
[3] https://www.kleinezeitung.at/kaernten/18470151/giftigster-fisch-der-welt-breitet-sich-in-adria-aus
[4] https://www.spektrum.de/news/gifte-die-toedlichsten-waffen-der-natur/1846192
[5] Hofrichter Robert (Hrsg.), 2020: Das Mittelmeer – Geschichte und Zukunft eines ökologisch sensiblen Raums. Springer Spektrum, Heidelberg, ca. 1.230 Seiten
[6] https://www.robert-hofrichter.com/2020/01/vollstandiges-inhaltsverzeichnis-von.html
Kalogirou S (2013) Ecological characteristics of the invasive pufferfish Lagocephalus sceleratus (Gmelin, 1789) in the eastern Mediterranean Sea – a case study from Rhodes. Mediterranean Marine Science, 14(2), 251-260
Bentur Y, Ashkar J, Lurie Y, Levy Y, Azzam ZS, Litmanovich M, … & Eisenman A (2008) Lessepsian migration and tetrodotoxin poisoning due to Lagocephalus sceleratus in the eastern Mediterranean. Toxicon, 52(8), 964-968
Bericht: Robert Hofrichter
Lektorat: Christoph Volker
Redaktion: Helmut Wipplinger
Veröffentlicht am 24. 5. 2024