von
Dr. Robert Hofrichter – Präsident

MareMundi – Verein zur Förderung der Meereswissenschaften (ZVR 051890525)
Schwarzstraße 33, A-5020 Salzburg
fon: +43 664 73623543 • email: office@mare-mundi.org
Homepage: mare-mundi.org

Salzburg, 28. April 2020

an
Herrn Bundeskanzler Sebastian Kurz
Herrn Vizekanzler Werner Kogler

 


Wie wir mit einem ökologischen Nutzen aus der Covid-Krise hervorgehen können

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler Kurz, sehr geehrter Herr Vizekanzler Kogler,

mit Respekt hat unsere gemeinnützige Natur- und Meeresschutzorganisation MareMundi die Bemühungen der Regierung zur Bewältigung der Corona-Krise verfolgt. Nach dem Lockdown beginnen die Staaten wieder, realistische Wege der Öffnung der Gesellschaft zu finden. Gerade diese Phase bietet der österreichischen Bundesregierung, der EU und allen Staaten unseres Planeten ökologische Erkenntnisse von entscheidender Bedeutung zu mehr Nachhaltigkeit zu verhelfen. Es ist eine Chance, deren Ergreifung von fundamentaler Tragweite für unsere gemeinsame Zukunft ist.

Wer wir sind

Erlauben Sie, dass wir uns zuerst kurz vorstellen: MareMundi ist eine NGO, die Expertisen zu ökologischen Fragen rund um das Mittelmeer, zur Ökologie der Meere, zum Umweltschutz allgemein und zum Artenschutz erstellt und publiziert. Als Teil der zivilen Gesellschaft fühlen wir uns aufgrund unseres Wissens verpflichtet, Stellung zu beziehen.

Über drei Jahre hat MareMundi mit über 50 Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen unter anderem am bisher umfangreichsten und aktuellsten Werk zum Europäischen Mittelmeer gearbeitet, welches demnächst erscheinen wird[1]. Dieses umfassende Standardwerk[2] widmet sich auf hunderten Seiten ausführlich den wichtigsten Umweltthemen – denn die allermeisten Probleme des Mittelmeeres sind, wie auch die aktuelle Pandemie, Folgen einer globalisierten Welt. Führende Wissenschaftler sind sich einig, dass wir im Anthropozän[3] leben, in einem neuen Zeitalter des Menschen, das die Grundlagen des Lebens für künftige Generation grundlegend verändert. Wir leben inmitten der sechsten großen Welle des Aussterbens in der Erdgeschichte, und sie ist menschengemacht und nur noch mit allergrößten Anstrengungen überhaupt einzubremsen.

Unser Anliegen

Als es im März 2020 allmählich allen vernünftig denkenden Menschen klar wurde, dass die COVID-19 Pandemie eine wirklich ernste Bedrohung für die Gesundheit der Erdbevölkerung darstellt, haben Regierungen nahezu aller Länder nach und nach in selten dagewesener Einigkeit einen Lockdown ihrer Staaten veranlasst, um Schlimmeres zu verhindern.

Nie hat unsere Generation bei den bisherigen Bemühungen beispielsweise um den Klimaschutz bei internationalen Konferenzen eine derartig kollektive Vorgangsweise erlebt. Auch wenn es sich beim Klimawandel[4] ohne jeden Zweifel um eine noch wesentlich ernstere Bedrohung für die Zukunft der Menschheit handelt. So traurig es auch für viele aktiv oder auch passiv Betroffene ist, Millionen Opfer von Pandemien hat es in der Geschichte oft gegeben. Menschenverursachte weltweite Aussterbewellen und Klimawandel sind hingegen eine absolute Novität.

Welche Diskussionsthemen wir ab sofort für unausweichlich halten

  • Unser Lebensstil, die Produktion, der Konsum, der Transport, die Mobilität, das Maß der Globalisierung, der Flächenverbrauch, die Degradation oder Vernichtung natürlicher Lebensräume und alle dazugehörigen Faktoren. Wir alle haben in der jetzigen Situation miterlebt, wie wir durch übertriebene Globalisierung in Abhängigkeit von asiatischen Ländern geraten sind. Sogar bei trivialen Artikeln wie Schutzmitteln und Medikamenten.
  • Bevölkerungswachstum: Diskussion über eine „geteilte Verantwortung“ für das Einbremsen des globalen Bevölkerungsanstieges. Dieser ist als „treibende Kraft der Naturdegradation“ einer der beiden entscheidenden Faktoren aller nachkommenden Probleme.
  • Klimawandel und alle dazugehörigen Phänomene wie Trockenheit: Seit Jahrzehnten waren die Staaten der Erde und ihre politisch Verantwortlichen nicht dazu bereit erforderliche Schritte zu setzen, mögen diese in Teilen der Bevölkerung auch unpopulär sein. An ihnen führt aber kein Weg vorbei. Eine Einigkeit wie in der aktuellen Covid-19 Situation wurde bei den diversen Klimakonferenzen nie erreicht, obwohl uns die Experten seit Jahrzehnten davor warnen, dass der Klimawandel unabsehbare Folgen haben wird. Bei der Pandemie berufen sich die Regierungen gern auf Experten. Bei der ungleich schwerwiegenderen Gefährdung – wir reden von Auswirkungen für die Zukunft, über Jahrhunderte und viele menschliche Generationen –, sollte eine verantwortungsvolle Regierung auch den Experten entsprechend Gehör schenken.
  • Wassermangel hängt mit dem Klimawandel aufs engste zusammen. Wir sehen die dramatischen Folgen seit Jahren. Unsere NGO beschäftigt sich speziell mit dem Mittelmeer: Der Süden der EU-Länder Spanien, Italien und Griechenland droht aufgrund der zu hohen Temperaturen und des fehlenden Niederschlags innerhalb einer Generation unbewohnbar zu werden. Ein großer Teil des fruchtbaren Bodens wird der Wüste weichen.
  • Umdenken in der Landwirtschaft und bei den Förderungen: umweltfreundliche, regenerative und biologische Landwirtschaft fördern, welche den Böden helfen. Vergiftung der Böden durch übertriebenen Einsatz chemischer Mittel weitgehend reduzieren (Insektensterben, Bienensterben, Vogelsterben).
  • Bereits einfachste ökologische Maßnahmen helfen bei der Reduktion des Artensterbens. Artenreiche heimische Wiesenblüten und einige Hecken und wassergefüllte Gräben bewirken Wunder. Stoppen wir die rücksichtlose und nicht nachhaltige Gewinnmaximierung in der industrialisierten Landwirtschaft, sie hat keine Zukunft.
  • Außergewöhnliche Herausforderungen brauchen außergewöhnliche Maßnahmen. Sie haben gezeigt, dass sie zu solchen Entscheidungen fähig sind, dadurch viele Menschenleben gerettet und unser Land auch zu einem weltweiten Vorbild gemacht. Das gilt zweifellos für die Corona-Krise, doch gilt es noch stärker für die Folgen des globalen Wandels: Klimawandel, unbewohnbare Landschaften, unkontrollierte Migrationsströme, Hunger, Kriege um Ressourcen. Uns ist es bewusst, dass die Herausforderungen enorm, und die realpolitischen Umsetzungsmöglichkeiten mehr als schwierig sind. Doch schon ein klares Bekenntnis dazu, dass die Regierung ernsthaft über Nachhaltigkeit nachdenkt, würde den Rücken der Vorkämpfer dieser Wende stärken. Wir vertrauen unserer Regierung, dass sie Chancen dieser „Hochfahr-Situation“ (die sich so bald vielleicht nicht mehr ergibt) ebenfalls als Chance sieht auch unpopuläre Themen anzugehen, deren Bedeutung weit über eine Wahlperiode hinausreicht. Signifikant höhere Beiträge reichster Bevölkerungsschichten und globaler Konzerne werden für eine ökologisch vertretbare und nachhaltige Weiterentwicklung unausweichlich werden.

Nicht nur global, nicht nur am Mittelmeer, sondern auch mitten in unserer Heimat – ein Bericht des Oberförsters des Stiftes Zwettl, Ing. Gerald Blaich

„Alle Zeichen stehen auf Alarm. Als Oberförster im Waldviertel sehe und begleite ich täglich den Niedergang eines ganzen Ökosystems, dem der Fichtenwälder. Dies war vor wenigen Jahren noch völlig undenkbar. Ein wichtiges wirtschaftliches Standbein von Gutsbetrieben, Klöstern und bäuerlichen Waldbesitzern bricht vor unseren Augen zusammen.“

Viele ehrenwerte Ökonomen bewegen sich ausschließlich in ihren gut studierten Denkkategorien: Wirtschaft ankurbeln, Jobs, Wachstum und Gewinn. So berechtigt diese Ziele für eine funktionierende Volkswirtschaft auch sein mögen, ist es aus mehreren Gründen höchst an der Zeit, den Warnungen der Experten weit mehr als bisher Rechnung zu tragen: In ruinierten Ökosystemen lässt sich kein Geschäft mehr machen. Unsere Zivilisation ist in ernster Gefahr! Es ist unumgänglich, sich diesen großen Bedrohungen mit aller Kraft entgegenzustemmen: dem Treibhausklima, dem rasanten Artensterben und der Überbevölkerung.

Daraus lassen sich einfache, praktikable Schlüsse für weitere Handlungen ableiten:

Alle Wirtschaftsbereiche, Vorhaben und Innovationen fördern, welche den Ausstoß von Treibhausgasen reduzieren und Biodiversität ermöglichen. Nur als Beispiele angeführt: Regenerierbare Energie, Schutzgebiete für die Natur, regionale Versorgung durch Bio-Landbau statt industrieller Landwirtschaft.

Im Gegenzug, alles zu unterlassen was Treibhausgase vermehrt, die Fragmentierung und Versiegelung der Landschaft und somit den Artenschwund vorantreibt. Die Fragen, ob eine neue Waldviertelautobahn oder eine dritte Flugpiste für den Flughafen Schwechat notwendig sind, beantworten sich damit von selbst.

Der Kipppunkt: das globale Ökosystem kann als solches kollabieren

Da dieser Kipppunkt schwer vorauszuberechnen ist, wird es die Menschheit so unvorbereitet treffen wie Corona. Sind die ersten Dominosteine gefallen, haben wir es mit einer sich selbst antreibenden Abwärtsspirale zu tun:

  • Erderwärmung, Abschmelzen der Pole und Gletscher, Hitze und Trockenheit einerseits, Überflutungen und Stürme andererseits. Die Folgen sind Missernten im großen Stil, Kaufhäuser mit leeren Regalen und in die Höhe schnellende Lebensmittelpreise.
  • Auftauen der Permafrostböden mit Freisetzung gigantischer Mengen von Treibhausgasen. Unkontrollierte Waldbrände mit noch mehr CO2-Emissionen. Veränderung der Meeresströmungen, Versauerung der Meere, Zusammenbruch der Fischbestände, Verlust der schützenden Korallenriffe. Überflutung bevölkerungsreicher Regionen wie Bangladesch oder die Unbewohnbarkeit ganzer Inselstaaten wie Mikronesien.
  • Gigantische Migrationsströme, die wir uns heute gar nicht vorstellen wollen sind die Folge. Nicht nur aus den vertrocknenden Mittelmeerstaaten der EU, besonders aus der überhitzten Äquatorialregion. Aber nicht in kaputten Schlauchbooten als Bittsteller wie heute, sondern als Massen, die nichts mehr zu verlieren haben.

Wird es nach Corona eine bessere Welt werden?

Die Corona-Pandemie wird noch lange Zeit viele Kapazitäten beanspruchen. Dennoch muss das Leben unserer Gesellschaften wieder hochgefahren werden. Dabei hat die österreichische Bundesregierung die einmalige Möglichkeit eine europa-, ja weltweite Vorreiterrolle einzunehmen, die wirklich großen Fragen der Zukunft viel intensiver anzusprechen. Versuchen Sie bitte für uns alle und unsere Nachkommen diesen „Neustart“ mit einer ökologischen, ökonomischen, sozialen und gesellschaftlichen Wende zu verknüpfen. Fairness der Natur und der Erde gegenüber ist Fairness uns selbst und unseren Nachkommen gegenüber. Derzeit arbeiten sehr viele in unserer Zivilgesellschaft daran, wie wir gemeinsam eine bessere und gerechtere Zukunft gestalten können. Stehen Sie bitte als Bundesregierung auf der Seite dieser Zivilgesellschaft, der Experten und der NGOs, die sich um eine solche nachhaltige Wende bemühen und bitte hören Sie verstärkt auf sie!

Wir danken Ihnen und wünschen erstens viel Kraft und zweitens die richtige Intuition für die nächsten erforderlichen Schritte für unsere Gesellschaft, für uns alle.

MareMundi steht Ihnen mit seiner Expertise jederzeit zur Verfügung!

Mit freundlichen Grüßen

Ihr

Dr. Robert Hofrichter

im Namen des Vorstands der Naturschutz-NGO MareMundi


[1] Hofrichter Robert (Hrsg.), 2020: Das Mittelmeer – Geschichte und Zukunft eines ökologisch sensiblen Raums. Springer Spektrum, Heidelberg, 1260 Seiten

[2] komplettes Inhaltsverzeichnis von Das Mittelmeer

[3] Subramanian Meera: Anthropocene now: influential panel votes to recognize Earth’s new epoch.

[4] vgl. APA-Interview mit der Klimaforscherin Helga Kromp-Kolb: Coronavirus – Bekommen unsere Verletzlichkeit vorgeführt (22.03.2020). Zitat: „Apropos Klimaschutz: Kromp-Kolb ist über die weitreichenden Maßnahmen, die in der Corona-Krise gesetzt werden können, überrascht: Ein Budgetdefizit spiele überhaupt keine Rolle, ebenso Eingriffe des Staates in den Markt. Beim Klimawandel war es bisher unmöglich, an vergleichsweise kleinen notwendigen Schrauben zu drehen.“



Bericht: Robert Hofrichter