Krebse in einer Fangreuse im Hafengebiet / Foto: Julian Robin

Das Mittelmeer einst und heute – lasst es uns gemeinsam schützen! Basierend auf einem Interview von Katrin Moeckel und Felix Lumpp, zusammengefasst von Robert Hofrichter.

„Es ist ein warmer Tag, das Meer ist ruhig und Neven steht rauchend neben seinem Fischerboot“, schreiben MareMundi-Mitarbeiter Kathi und Felix in ihrem Bericht über den Fischer Neven von der Insel Krk. „Wir sind schnell ins Gespräch gekommen. Er ist Fischer in der 3. Generation, fängt Scampi und das schon sein über 20 Jahren. Die jetzige Situation in der Adria bezeichnet er als katastrofa. Schnell bot er uns während einer Ausfahrt ein Interview an und versprach uns ein paar Videoaufnahmen als Beweismittel. Wir verabredeten uns …“

Eine katastrofa also. Das kroatische Wort verstehen wir auch ohne Übersetzungsprogramm. Im Allgemeinen jammern Menschen gern – nichts sei mehr so wie damals … Auch der Autor dieser Zeilen kann bestätigen: Die Adria ist ein komplett anderes Meer als noch in seiner Kindheit und Jugend, sagen wir vor mehr als 55 Jahren. Seine Karriere als Schnorchler und später auch Taucher hat der MareMundi-Präsident bereits 1967 bei Rovinj gestartet. Die hellgrauen Kalkfelsen der Küsten waren dicht mit einer Vielfalt von Algen bewachsen, riesige Fischschwärme zogen an uns Kindern vorbei, am Meeresgrund ruhten regelmäßig träge Katzenhaie. Sind das bloß subjektive Kindheitserinnerungen?

Das ist unwahrscheinlich. Wer auch immer unter Fachkundigen und Erfahrenen gefragt wird (auch unter den adriatischen Fischern selbst), das Ergebnis bleibt immer gleich. Um gute 20 Jahre älter als der Verfasser dieser Zeilen ist beispielsweise der Tauchpionier Peter Appelius aus Wien, von seinen Freunden liebevoll eher Wa-ki genannt. Seine erste Adria-Expedition fand 1957 statt. Er schreibt in einem Bericht für unser neues MareMundi-Krk-Buch (bereits als eBook erschienen): „Der erste Tauchgang stieß vor unseren staunenden Augen die Tür in eine Wunderwelt auf: ausgedehnte Seetangwälder in der weiten Sandbucht, die es heute kaum mehr gibt, klarstes Wasser mit Sichtweiten von gut 15 Metern und Bodenbewohner wie Seegurken, Seesterne und Steckmuscheln … Kleine Stachelrochen, die meist im Sand eingegraben waren, gehörten zum taucherischen Alltag. Im freien Wasser entlang der felsigen Küste stießen wir auf Schwärme von Goldstriemen und Meerbrassen, die uns neugierig umkreisen … Im tieferen Wasser stießen wir auf lockere Schulen von Meerbrassen, auf schier unerschöpfliche Schulen von Goldstriemen und unter den Überhängen auf zahllose Mönchsfische, von denen die juvenilen Winzlinge ein magisch blaues Licht ausstrahlen … Wo immer wir auch in den südlichen Kornaten auf- oder genauer untertauchten, gab es immer Fische in schier unerschöpflichen Schwärmen und in jeder Größe. Dazu zählte auch der morski pas, der Hai, den wir persönlich zwar nie sahen, von denen die Fischer aber großen Respekt hatten.“

Wir wollen uns nicht wiederholen, denn die Erinnerungen gleichen sich zu 100 Prozent. Das erzählt uns auch einer der besten Kenner der Kvarner Bucht, Dr. Vladimir Tkalcic, ein Arzt und Naturforscher, der die Region seit 55 Jahren auch tauchend erforscht. Die schier endlosen Fischschwärme werden bei jedem Gespräch über die alten Zeiten mit glänzenden Augen hervorgehoben. Heute kaum mehr vorstellbar …

Aber auch etwas jüngere Kollegen als die beiden zitierten Adria-Kenner sprechen eine klare Sprache. Und das nicht nur, wenn es um Fische geht: Auch das ökologisch lebenswichtige Seegras wie auch die Algenbestände gehen zurück – sie verschwinden sprichwörtlich vor unseren Augen. Die erfahrenen Meeresbiologen Roland R. Melzer und Martin Pfannkuchen nennen daher ihren Beitrag in „Das Mittelmeer“: „Das stille Sterben infralitoraler Phytalgemeinschaften in der Nordadria“.

Neven, unser Fischer, hat also nicht bloß gejammert, wenn er das Wort katastrofa verwendete.

Katrin und Fischer Neven bei der Ausfahrt auf seinem Boot / Foto: Felix Lumpp

Aus dem (Fischer-) Leben von Neven

„Wie lange fischt er schon und was fischt er?“, fragten Katrin und Felix zu Beginn des Gesprächs. „Seit 27 Jahren“, antwortete er. Bereits Vater und Opa waren Fischer. Er hat sich vor allem auf „plava riba“ spezialisiert. Das bedeutet in etwa „Blauer Fisch“. Solche Fischarten, die gute Schwimmer des offenen Wassers – wie Tunfische und Sardinen – sind, haben einen höheren Anteil an roter Muskulatur, das Gegenteil davon wären die „bijela riba“, also „Weißer Fisch“. Neven war zuerst in der oberen Adria mit zwei Booten ausgestattet mit Lampen aktiv, später dehnte sich sein Fanggebiet zwischen Istrien und Dubrovnik aus. 17 Jahre beteiligte er sich ebenso an der Boden-Schleppnetzfischerei, auch rund um die weit draußen liegende Insel Jabuka (vulkanischen Ursprungs, was selten für die Adria ist). Dass gerade die Boden-Schleppnetzfischerei das Verheerendste für die marine Umwelt überhaupt ist, haben wir nicht weiter angesprochen. Mit umweltverträglicher Fischerei ist sie in aller Regel unvereinbar und gerade sie war es, die für einen Teil der massiven ökologischen Degradation der Adria verantwortlich ist. Tonnenschwere Geräte durchpflügen den Meeresgrund, zerstören dabei mehr, als Nützliches mitgenommen werden kann. Ein großer Teil der Ausbeute ist Beifang, der meistens tot wieder ins Meer zurückgeworfen wird. Das empfindliche Ökosystem des Meeresgrundes ist dadurch nachhaltig zerstört. Denn die hier lebenden Organismen haben lange Regenerationszeiten, und das Durchpflügen des Meeresgrundes erfolgt in der Adria oft mehrmals im Jahr.

Bereits seit neun Jahren betreibt Neven Reusenfischerei und fängt scampi. Katrin und Felix fotografieren und filmen eine klägliche Ausbeute. Scampi, das ist der Kaisergranat oder Kaiserhummer (Nephrops norvegicus), eine begehrte Krebstierart. Wenn man sich den harten Einsatz des Fischers Neven in Relation zum Erlös seiner Arbeit ansieht, empfindet man Mitgefühl. Doch genauso empfindet man als Naturschützer, wenn es um das Ökosystem Adria und seine Bewohner geht: Wir Menschen haben diese Welt zerstört!

Von den zahlreichen ausgelegten Reusen sind es am Ende lediglich ein paar Hände voll Scampi, die Neven als Fang mit nach Hause nimmt / Fotos: Katrin Moeckel

Welche Probleme stecken hinter dem Rückgang der Fangmengen?

Das Mittelmeer ist nach dem Südostpazifik das am stärksten überfischte Meer der Welt. Wenn Neven als Fischer der dritten Generation nach all den Erzählungen seines Großvaters und Vaters und basierend auf seiner eigenen Lebenserfahrung von einer katastrofa spricht, dann können wir davon ausgehen, dass sich die Adria massiv verändert hat, dass sie nicht mehr ist, was sie einmal war.

Expertinnen und Experten nennen vor allem fünf Gründe, die zur massiven Überfischung des Mittelmeeres und auch der Adria geführt haben: übermäßiger Fang, unregulierte Fischerei, Beifang und Zerstörung von Lebensräumen, Klimawandel und mangelnde Zusammenarbeit und Koordination. Ohne, dass Neven von diesen Punkten gehört hätte, hat er in seinem Interview genau diese fünf Punkte angegeben. Beginnen wir mit dem letzten Punkt: Neven beklagt sich: Staatliche Stellen, Fischereiaufsicht, andere Stellen müssten strenger kontrollieren … Es tut keiner etwas … Der Staat tut nichts, außer Steuern einnehmen … Bürokratie ist das Problem … Selbst wenn er versucht irgendwo anzurufen oder etwas zu melden … es passiert nichts …“. Der Fischer spricht ein Grundproblem an: Selbst wenn es Gesetze und sogar Schutzmaßnahmen gibt, nützen diese nichts, wenn sie nicht exekutiert werden. Schutzgebiete und -vorschriften sind nicht das Papier wert, auf dem sie stehen, wenn sie weder respektiert noch eingehalten werden.

Über den Klimawandel brauchen wir nicht allzu viel sagen, denn er ist mittlerweile traurige Tatsache. Auch Neven hat sich dazu eine Meinung gebildet (ohne dass wir die einzelnen Angaben als zitierfähige wissenschaftliche Information sehen wollen): „Ja, die Fangmengen … und die Entwicklung der Bestände … die Saisonalität geht verloren, und die Unterschiede in den einzelnen Jahren sind beträchtlich … in den letzten drei Jahren ist die Wassertemperatur nie unter 10 °C abgesunken, was sehr schlecht für das Meer ist“, sagt er. „Vor einigen Jahren noch habe ich im Dezember etwas über 8 °C gemessen. Die Erhöhung der Wassertemperatur ist eindeutig …“. Was Neven berichtet, korreliert mit aktuellen Ergebnissen aus Messungen und wissenschaftlichen Auswertungen, denn noch nie, seitdem Aufzeichnungen existieren, waren das Mittelmeer und die Adria so warm.

Und so könnten wir fortsetzen, mit übermäßigem Fang und unregulierter oder illegaler Fischerei und deren Methoden. „Scampi gibt es nicht mehr“, sagt Neven (Anm. er meint es gibt nur noch sehr wenige), für seine Art Fischerei gäbe es keine Quoten, „keiner kontrolliert etwas, Oktopusse sind stark reduziert, in den letzten neun Jahren besonders, vor sechs Jahren gab es einen Einbruch, in diesem Jahr aber (2023) gab es aber einige mehr …” Die Harpunenfischer seien schuld, die verschiedenen Arten zusetzen. Harpunenfischer gäbe es einfach zuviele in diesem Aquatorium (aquatorij ist ein in Kroatien oft verwendetes Wort für ein Meeresgebiet, in dem sich in der Regel ein größerer, zentraler Hafen (wie Rijeka) befindet). Und dann fügt er noch hinzu, dass Corona das Meer gerettet hätte …
Der Beifang wurde auch angesprochen: Neven fängt eigentlich Scampi, aber gelegentlich befindet sich auch die eine oder andere Art in der Reuse, wie etwa einmal ein Oktopus oder verschiedene Fische, obwohl es für die anders gebaute Reusen gibt.

Trotz der sehr bescheidenen Erträge, oder gerade deswegen, fährt Neven fast täglich hinaus und versucht sein Glück. Finanziell rentiert es sich für den Fischer, bereits derzeit schon, nur noch an besonders guten Tagen / Fotos: Felix Lumpp

Gibt es überhaupt Verbesserungs- oder gar Lösungsvorschläge?

Die gibt es, und zwar eine ganze Reihe. MareMundi setzt sich seit vielen Jahren dafür ein, dass man sie nicht nur ernst nimmt, sondern auch in die Praxis umsetzt. Der effektivste Weg, wie man die Adria schützen bzw. Verbesserungen herbeiführen kann ist die Einrichtung von mehreren Meeresschutzgebieten, die auch sogenannte no-take-Zonen beinhalten müssen, Gebiete also, in denen man dem Meer nichts entnehmen darf. Die Fischer und ihre Interessensvertretungen steigen in der Regel auf die Barrikaden, wenn sie von Meeresschutzgebieten hören. Doch ist die Vorstellung darüber oberflächlich und grundfalsch: MPAs (marine protected areas) bringen keine Verschlechterungen mit sich, sondern Verbesserungen für ausnahmslos alle (auch für die Kinder und Enkel der Fischer). Wissenschaftliche Forschungen weltweit zeigen eindeutig, dass MPAs eine rasche ökologische Verbesserung in den umgebenden Meeresregionen bewirken – auch in jenen, in denen gefischt werden darf. Das verdanken wir nicht etwa unserer Klugheit, sondern der verblüffenden Regenerationsfähigkeit des Meeres und ihrer Bewohner. Ob wir es wollen oder nicht, die Dinge werden sich ändern – und sie werden sich alternativlos ändern müssen, nicht nur für die Fischer, sondern für uns alle. Viel mehr Rücksicht der Natur gegenüber ist angesagt.

Liebe Leserin, lieber Leser, setze auch Du dich gemeinsam mit uns für die Schaffung eines Meeresschutzgebiets in der Kvarner Bucht ein und unterstütze unsere Bemühungen! Danke!

MareMundi dankt Katrin und Felix für den wertvollen Beitrag und Fischer Neven für seine Bereitschaft, offen über sein Leben und seinen Beruf zu sprechen.



Bericht: Robert Hofrichter, Katrin Moeckel, Felix Lumpp
Redaktion: Julian Robin, Christoph Volker
Fotos: Katrin Moeckel, Felix Lumpp, Julian Robin

Veröffentlicht am 10.06.2024