Es war ein warmer Tag, als eine Gruppe neugieriger Studierender der Universität Innsbruck bei uns im Institut auf Krk eintraf. Ihr Ziel? Nicht etwa die Erkundung tiefblauer Ozeangräben oder das Studieren majestätischer Meerestiere, sondern das Aufspüren des Lebens an einem der unerwartetsten Orte – im Sand.

Das Abenteuer beginnt: Ein Schritt ins Unbekannte

Mit Tauchmasken auf den Köpfen und einem Forscherdrang in den Augen begannen die Studierenden ihre Mission. Drei Meter, fünf Meter, sieben Meter tief tauchten sie hinab in die scheinbar endlose Unterwasserwelt. Der Sand unter ihren Füßen, der für die meisten nur eine Ansammlung winziger Sedimentkörner ist, wurde plötzlich zum faszinierenden Mikrokosmos voller Geheimnisse.

Die verborgene Welt zwischen den Körnern

Was die Studierenden aus diesen Tauchgängen mitbrachten, war nicht etwa der grobkörnige Strand, wie wir ihn kennen. Es war Feinsand, jedes einzelne Sandkorn ein kleines Universum. Mit größter Vorsicht und unter dem prüfenden Blick von Stereomikroskopen enthüllten diese Proben eine Welt, die normalerweise im Verborgenen bleibt. Eine Welt, die in ihrer Vielfalt und Komplexität eine entscheidende Rolle für die Gesundheit des marinen Ökosystems spielt. Viele der hier lebenden Organismen sind wichtig für den Nährstoffkreislauf, indem sie organisches Material abbauen und so Nährstoffe wieder in den Kreislauf des Ökosystems zurückführen. Andere dienen als Nahrung für größere Tiere und sind damit ein unverzichtbares Glied in den Nahrungsnetzen.

Die faszinierende Begegnung mit Branchiostoma

Unter all den Entdeckungen, die sie in diesen Sandproben machten, stach eine besonders hervor – Branchiostoma, auch bekannt als Lanzettfischchen oder (den älteren Biologen) Amphioxus. Dieser kleine, unscheinbare Organismus mag auf den ersten Blick nicht beeindruckend wirken, doch er ist wie ein lebendes Fossil. Mit seinen beiden entscheidenden Merkmalen, der Chorda dorsalis und dem Kiemendarm, erzählt er eine Geschichte von hunderten Millionen Jahren Evolution. Der Kiemendarm, der hier als einfacher Filter dient, zeigt uns einen evolutionären Mechanismus, der im Laufe der Zeit zur Entwicklung komplexerer Atmungs- und Ernährungssysteme geführt hat. Man stelle sich das Staunen der Studierenden vor, als sie durch das Mikroskop den rhythmischen Cilienschlag beobachteten, der Nahrungspartikel aus dem Wasser filtert – ein Schauspiel der Natur in Miniatur.

Lanzettfischchen, wissenschaftliche Bezeichnung Branchiostoma lanceolatum.

Der Kiemendarm (Tractus respiratorius) eines Lanzettfischchens.

Nahaufnahme der primitiven „Wirbelsäule“ (Chorda dorsalis) eines Lanzettfischchens. Dieser lange, dünne und biegsame Achsenstab im Rückenbereich zieht sich von der Kopfspitze bis in den Schwanz hinein.

Das unterschätzte Universum der Sandlückenfauna

Doch Branchiostoma war nicht der einzige Star dieser biologischen Show. Im Sandkörper fanden sich auch Fadenwürmer, Krebstiere und Polychaeten – eine ganze Armada an Leben, die zwischen den Sandkörnern ihren Alltag verbringt. Diese winzigen Organismen bilden eines der Fundamente des marinen Nahrungsnetzes. Sie ernähren sich von organischen Partikeln und Mikroalgen und werden wiederum von kleinen Fischen und anderen Meeresbewohnern gefressen, die dann selbst Beute für größere Tiere werden. Auf diese Weise unterstützen sie das gesamte marine Ökosystem, indem sie Energie und Nährstoffe von der Basis bis an die Spitze der Nahrungskette weiterleiten. Es war, als hätten die Studierenden ein Portal in eine andere Dimension geöffnet, eine, die direkt vor oder noch besser unter unseren Füßen liegt und doch so oft übersehen wird. Dieser Moment der Erkenntnis, dass selbst zwischen winzigen Sandkörnern ein ganzes Ökosystem existieren kann, war für viele ein Augenöffner.

Fadenwurm (Nematoda), auch ein berühmter Bewohner der mikroskopischen Sandlückenwelt, die die Biologen Mesopsammon nennen.

Die nie endende Suche nach dem Verborgenen

Dieser Freilandkurs war mehr als nur eine wissenschaftliche Übung; er war eine Reise in das Unbekannte, eine Expedition zu den kleinsten und der nichtbiologischen Öffentlichkeit wenig bekannten Wundern der Natur. Während die Studierenden mit neuen Erkenntnissen und einer tiefen Ehrfurcht vor der Komplexität des Lebens zurückkehrten, war uns allen klar, dass dies erst der Anfang war. Der Sand mag für uns nur ein winziger Ausschnitt des Meeresbodens sein, doch er birgt Geheimnisse, die uns noch viel zu erzählen haben. Gemeinsam mit der Universität Innsbruck (die bei der Erforschung des Mesopsammons eine lange Tradition hat) sind wir bereit, diese Geschichten zu entdecken, ein Sandkorn nach dem anderen.

Die Natur hat viele Geheimnisse, und manchmal liegen sie direkt vor unseren Augen – oder besser gesagt, unter unseren Füßen.



Bericht: Jonas Landwehr
Redaktion:  Robert Hofrichter, Helmut Wipplinger

Veröffentlicht am 9.10.2024